Dienstag, 17. Dezember 2024

Trost

Trost (von Willy Kramp)


Es hat eine Zeit in meinem Leben gegeben, da war die Welt mir zu einem kahlen engen Raum geschrumpft. Auf der nackten Erde saß ich und sah die gekalkte buckelige Wand an. In dieser Not des Erlöschens aller äußeren Bilder erlebte ich voller Verwunderung, wie aus den untersten Gründen der Erinnerung die Lieder meiner Kindheit aufstiegen. Und das Wiedergefundene half mir leben. In jener Zeit wurden die Kirchenlieder, die ich in meiner Erinnerung trug, zu meinen treuen Helfern. Ich sang sie laut. Als mir das Singen verboten wurde, sprach ich sie vor mich hin. Als mir das Sprechen verboten wurde, flüsterte ich sie. In der angstvollen Leere brachten diese Lieder mir die Welt zurück.
Welch ein Glück, dies alles neu zu erfahren. Fast von selbst wob sich das Zerstückelte zum Ganzen, und was sich da zusammenwirkte , war ein Gewebe von Schöpfung und Bewahrung. 

(Am 16.12.2024 veröffentlichte der Neukirchener Kalender diesen Text)

Willy Kramp war ein deutscher Schriftsteller der am 18. Juni 1909 in Mülhausen zur Welt kam und am 19. August 1986 in Schwerte-Villigst verstarb.
Quelle: Archiv das Ostpreußenblatt
Als Sohn eines Ostpreußischen Eisenbahnbeamten wurde er im Elsass geboren. Im Jahre 1919 wurde die Familie aus dem Elsass ausgewiesen. Hintergründe sind nicht bekannt. Man zog ist pommersche Stolp wo Willy weiter zur Schule ging. Er studierte später Philosophie, Germanistik, Psychologie und Anglistik in Berlin, Bonn und Königsberg. 1938 heiratete er. Er schrieb Romane, Erzählungen und Dramen. Sein Bruder studierte Theologie und so kamen sie im 3. Reich Kontakt zur Bekennenden Kirche. 1943 wurde er Soldat und geriet 1945 in russische Gefangenschaft, aus der er erst 1950 heraus kam. Ich vermute, dass der obige Text seinen Hintergrund in der russischen Gefangenschaft hat. In den späten 50er Jahren wurde er eine prägende Gestalt beim ev. Kirchentag und er gehörte zum Kreis der Sprecher der ARD Sendung "Wort zum Sonntag".

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