Ein Leben für die Bibel:
Fast sein gesamtes Leben hat Adolf Pohl der Bibel gewidmet, als Autor der Wuppertaler Studienbibel wurde er einer breiten Öffentlichkeit bekannt. In dieser Woche ist der baptistische Theologe im Alter von 91 Jahren gestorben. Anstelle eines Nachrufs veröffentlichen an dieser Stelle ein Porträt über Pohl, das vor einigen Jahren in der Zeitschrift „Faszination Bibel“ erschienen ist.
Von Ulrich Wendel
Wenn jemand in einem 1.700-Seelen-Dorf lebt, dort an einem kleinen theologischen Seminar lehrt – aber seine Bücher auch in Brasilien und Ägypten erscheinen, dann muss das ein bemerkenswerter Bibellehrer sein. Adolf Pohl ist kein Mann großer Worte, aber wenn er predigt oder schreibt, dann ist jedes Wort geschliffen.
Die Bibelkommentare sind es wohl, die ihn bekannt gemacht haben. Er hat Markus, Paulus und die Johannes-Offenbarung ausgelegt. Ganz typisch dabei: Seine Erklärungen sind tief durchdacht, aber nicht abgehoben-akademisch. Vielmehr merkt man ihnen an, dass Adolf Pohl in der Bibel lebt. Im Vorwort zu seinem Markus-Kommentar deutet er an, wie Theologie am Schreibtisch mit seinem Leben zusammenhing: „Das Markus-Evangelium war in den letzen zwölf Jahren ein Mittel Gottes, mich am Glauben und am Leben zu erhalten. […] Jesus nach Markus – das ist ein wahrer Himmel an Hilfsbereitschaft Gottes.“
Zwölf Jahre lang an einer Auslegung gearbeitet – die Vorstellung des „stillen Gelehrten“ trifft auf Adolf Pohl zu. Geduldige Arbeit am Schreibtisch, Studierende unterrichten, in der Gemeinde leben, daraus bestand der Rahmen für Pohls Arbeit. Mittlerweile ist er längst im Ruhestand. Bei ihm kann das aber nichts anderes sein als – Zeit für die Bibel. „Ich war nicht mehr Dozent, sondern wieder Student, wieder mit dem gleichen Charme wie damals unter dem Birnbaum im elterlichen Garten, wo ich vor meinem Studium hebräische und grie- chische Vokabeln lernte. Mit jedem Tag erlebe ich, dass die Bibel lebt.“
Adolf Pohl wuchs als Kind eines Predigers auf. Glaube und Gottes Wort waren ihm vertraut. Dennoch war für ihn der Moment wichtig, wo er sich bewusst für ein Leben mit Jesus entschloss. Mit 16 wurde er Luftwaffenhelfer im Krieg, danach Gemeindehelfer einer pfingstlich geprägten Gemeinde. Nach dem Theologiestudium in Hamburg folgten sieben Jahre als baptistischer Gemeindeprediger. Bewusst ließ er sich 1950 in eine DDR-Gemeinde berufen. Und dann folgten 32 Jahre als Dozent – in dem kleinen Brandenburger Örtchen Buckow, wo er heute noch lebt.
(aus: jesus.de)
Unterm Flak-Scheinwerfer
Wenn Pohl zurückblickt, welche Faktoren ihn zur Bibel brachten und die Bibel zu seinem Lebensthema machten, dann nennt er verschiedene Einflüsse:
„Als ich Kind war, schneite ein fröhlicher und ideenreicher junger Christ in unsere Gemeinde herein. Der zog für zwei, drei Jahre bis zu seinem Einzug zur Wehrmacht eine tolle Jugendarbeit auf. Ziemlich schulmäßig führte er Bibelarbeiten durch. Abschließend wurden wir immer abgefragt, was wir behalten hätten. Jeder durfte dann reihum einen Satz beten. Es gab auch ein recht sportliches Bibelwettlesen, von 1. Mose an. So las ich damals die ganze Bibel. Unsere Jugendstunden fanden in einem Kellerraum statt, der als Luftschutzkeller diente. Wenn die Sirenen zum Fliegeralarm aufheulten, sprangen wir jubelnd auf: Wir mussten nicht nach Hause! Außerdem erschienen jetzt die Hausbewohner im Keller und vergrößerten unsern Kreis zu schönster Gemeinschaft, bis jemand von draußen hereinrief: ‚Entwarnung!‘ Das sind Kriegserinnerungen eigener Art.“
„Aus Bibel auswendig wurde Bibel inwendig“
„Mein nächster Schub zur Bibel kam so. Sechzehnjährige Schüler wurden damals Flakhelfer bei der Luftwaffe, zumeist zur Bewachung militärischer Objekte in der Nähe der Heimatstadt. Ich habe anderthalb Jahre einen herrlichen Scheinwerfer von zwei Meter Durchmesser bewacht. Als einziges sichtbares Stück aus meinem Elternhaus hatte ich ein Neues Testament mit Psalmen im Westentaschenformat bei mir. Wenn ich Wache schob, lernte ich Bibelabschnitte auswendig, etwa Psalmen, Teile aus den Abschiedsreden Jesu und die zweite Hälfte von Römer 8. Vers für Vers sprach ich in unendlichen Wiederholungen leise vor mich hin. Aus Bibel auswendig wurde Bibel inwendig. Sie schuf in der Sturzflut meiner Gefühle, Gebete und lyrischer Ergüsse Klarheit.“
Bibeltexte auswendig können – das ist für Pohl nicht nur eine Kopfsache. Als er später Studenten unterrichtete, forderte er von ihnen, sie sollten Bibeltexte nicht nur frei zitieren, sondern sie auch beten können. Die Heilige Schrift soll das Leben berühren, sie soll zupacken können. Ein prägendes Beispiel dafür war schon in seinem Elternhaus der Nachbar von Pohls, ein alter lutherischer Pfarrer. Er suchte den Kontakt zum jugendlichen Adolf und erzählte vom Weg der Kirche im Dritten Reich. Pohl erinnert sich: „Einmal erwähnte er Matthäus 23 mit den acht Wehe-Rufen Jesu gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Sein kurzer Kommentar: ‚Da wäre ich fast gestorben.‘ Das war Schriftauslegung nachhaltig.“
32 Jahre „Nachsitzen“
Als Pohl dann zu studieren begann, war er beeindruckt von einem riesigen theologischen Wörterbuch, das er in der Bibliothek vorfand. Hier sah er, wie biblische Zusammenhänge mit größter Sorgfalt erarbeitet wurden. Das nahm er für sich zum Maßstab. „Das Wörterbuch „ertappte mich bei so mancher frommen Ungenauigkeit, nötigte mich zur entsagungsvollen Kleinarbeit und dämpfte meine lauten Überzeugungen, hinter denen oft noch die Kenntnisse fehlten.“
Abgeschreckt von der Theologie hat ihn das nicht, und auch die Zeit als Prediger hat die Flamme dafür nicht ausgelöscht. „Ich fühlte mich nach den drei Jahren im Theologischen Seminar noch nicht ausstudiert. Da verordnete mir mein Herr 32 Jahre ‚Nachsitzen‘. Ich wurde dazu Dozent im neu ins Leben gerufenen Theologischen Seminar in Buckow. Wir taten unsere Arbeit im Team von drei, beziehungsweise vier Brüdern. Wir fühlten uns ständig überfordert, aber von Gott und Menschen ernst genommen. Wir durften die Schrift lernen und sie hoch motivierten jungen Christen lehren!“
Keinem Wort aus dem Weg gehen
Zum Lehren kam bald das Schreiben: „Mein Hauptfach war die Auslegung des Neuen Testaments. Durch die Mitarbeit in der Evangelischen Allianz kam es zur Begegnung mit dem Herausgeber der ‚Wuppertaler Studienbibel‘, Oberkirchenrat Dr. Werner de Boor. Nachdem er mich prüfend beobachtet hatte, fragte er mich gerade heraus: ‚Würden Sie es sich zutrauen, einen Band unserer Reihe auszulegen?‘ Zu meinem Erstaunen hörte ich mich antworten, ge- nauso geradeheraus: ‚Ja!‘ So entstanden in den Jahren meine vier Bibelkommentare, Offenbarung des Johannes, Evangelium des Markus, die Briefe des Paulus an die Galater und Römer. Das war die intensive Form meiner beruflichen Weiterbildung.“
Die Arbeit als Ausleger blieb nicht folgenlos für Pohls persönlichen Umgang mit der Bibel: „Durch diese Arbeit lernte ich, keinem Vers und keinem Wort eines Textes aus dem Wege zu gehen. Ich nahm Abschied davon, die Bibel nur schnäppchenweise zu gebrauchen. Zwar kann die Gemeindepraxis zu einer gewissen Bibelzerstückelung nötigen, aber hintergründig muss für uns die Bibel als Ganzes der umfassende Rahmen bleiben. Das Alte Testament zusammen mit dem Neuen Testament ist ein Christusbuch. Johannes 5,39: ‚Ihr erforscht die Schriften, weil ihr meint, in ihnen das ewige Leben zu haben; gerade sie legen Zeugnis über mich ab.‘“
Gemeinde – der Ort für Theologie
Adolf Pohls Bibelauslegung ist nicht vorstellbar ohne das Leben in der Gemeinde – in seinem Fall in der kleinen freikirchlichen Gemeinde Buckow-Müncheberg. Hier arbeitet er auch jetzt noch mit, indem er predigt und Bibelstunden hält. Viele theologische Fragen, mit denen er sich beschäftigt, sind aus der Gemeinde heraus geboren, oft auch durch konkrete Fragen, die Einzelne ihm stellten. Ausdrücklich lehnt Pohl eine Theologie ab, die nicht auf diese Weise im Gemeindeleben verankert ist.
„Wie will ein Ausleger von Dingen reden, die er nicht kennt?“ fragt er in seinem Buch „Staunen, dass Gott redet“. „Er mag noch so saubere Bergriffsarbeit leisten, macht aber ständig aus geistlichen Wirklichkeiten ein berechenbares Viereck. Es plätschert eine fade Gotteswisserei und die Gemeinde soll noch dankbar sein für seine ‚Theologie‘“. Und so wie der Theologe auf die Gemeinde angewiesen ist, so ist die Gemeinde wiederum abhängig davon, dass sie die Bibel unter sich lebendig hält. „Bekommt die Gemeinde nicht in jedem Jahrzehnt das Standbein auf den Boden der Bibel, ist sie auch schon von irgendeiner Zeitströmung erfasst. Das widerfährt selbst dem unter uns, der sich das von sich selbst nicht denken kann. Er mag sich dann noch so streitbar biblisch gebärden und ist doch längst ein Produkt der Verhältnisse. Die Bibel ist der Rückhalt unserer Unabhängigkeit als Gemeinde in dieser Welt.“ Hier brennt ganz deutlich Pohls Leidenschaft.
Und nun erreicht Pohls Bibelauslegung im hohen Alter also noch den portugiesischen und arabischen Sprachraum. „Die Kommentare werden von evangelikalen Seminaren in Brasilien, Angola, Mozambique, Guinea Bisau und Ost Timor ‚als eine wertvolle Arbeitshilfe gewertet‘. Die Pfingstkirche ‚Assemblèia de Deus‘ in Brasilien hat für ihre fünfhundert Ausbildungsstätten, für Mitarbeiter und Pastoren die Kommentare der Offenbarung bestellt. Man sieht, was bei Gott möglich ist. Er benutzte auch den Beitrag aus dem ostbrandenburgischen Nest Buckow.“
(aus: jesus.de)